In höheren Organismen wird der Energiebdarf durch oxidativen Metabolismus gedeckt, der in Mitochondrien stattfindet, die über den ganzen Organismus verteilt sind. Um diese Maschinerie zu unterhalten, muß jede Zelle mit Mitochondrien mit Sauerstoff versorgt werden - je mehr, desto besser für die Verbrennung des Treibstoffes. Ein Nachteil übermäßiger Sauerstoffversorgung ist das Vorkommen von Sauerstoffradikalen, die wegen ihrer hohen Reaktivität unspezifischen aber schweren Schaden anrichten. Ein sicheres Gleichgewicht zwischen Verbrennungsrate und Schadensbegrenzung muß gefunden werden. Dieses Gleichgewicht kann durch besondere Schutzreaktionen des Gesamtmetabolismus durch Radikalfänger zugunsten der Schadensbegrenzung verschoben werden.
Das Leben höherer Organismen wird durch ein spezialisiertes Gewebe reguliert, das größtenteils aus Nervenzellen besteht. Eine übermäßige Beschädigung dieses Gewebes macht den Rest des Organismus unbrauchbar, wie gut auch immer seine Verbrennungsrate ist. Wegen der langsamen Regenerationsrate von Nervenzellen spielt der Zeitfaktor eine Rolle. Da die durchschnittliche Lebenserwartung des Menschen durch Kulturerrungenschaften verlängert worden ist, wird die Ansammlung von Nervenschäden zunehmend kritisch.
Einsichten in Schutzmechanismen von Nervengewebe können durch die Untersuchung von Krankheitszuständen mit beschleunigter Nervendegeneration gewonnen werden, wie sie z.B. bei der Alzheimer-Krankheit auftreten. Charakteristisch für diese Krankheit ist die Ablagerung von amyloidem ß-Protein im Gehirn in fibrillärer Form, wobei reaktive Sauerstoffverbindungen beteiligt sind. Es wird vermutet, daß eine Unterdrückung der beteiligten Radikale den Gehirnabbau verlangsamt.
Experimentell kann die Lebensfähigkeit von Nervenzellen in Gegenwart von amyloidem ß-Protein gemessen werden. Dabei zeigte sich ein günstiger Einfluß von Radikalfängern wie Tocopherol (Vitamin E) und Melatonin. Hinsichtlich therapeutischer Strategien sind Substanzen vom Indol-Typ zu bevorzugen, da sie keine Autoxidationserscheinungen zeigen wie sie bei phenolischen Antioxidantien wie Tocopherol gefunden werden. Melatonin zeigte bisher die beste Schutzwirkung gegen den toxischen Effekt des amyloiden ß-Proteins. Bei einer Evaluierung anderer Indol-haltigen Substanzen wurde bei Indol-3-propionsäure (IPA) jedoch ein größerer Effekt gefunden. Es ist zudem kein Fremdkörper: man findet es im Plasma und in der cerebrospinalen Flüssigkeit des Menschen. In der Primärreaktion mit einem Hydroxyradikal wird IPA zu Kynureninsäure oxidiert. Die genaue physiologische Rolle (und der mögliche therapeutische Einsatz) müssen noch erforscht werden.
Mechanismus der Radikalentfernung durch IPA | |
Modell der Indol-3-propionsäure |