Traditionelle Chinesische Medizin - mit Bioinformatik und Supercomputern
Vor den Segnungen durch Erfindungen der modernen pharmazeutischen Industrie wurden weltweit seit Jahrtausenden Krankheiten mit natürlichen Substanzen behandelt. Die Wirkung von Pflanzenprodukten sind nicht immer im Detail bekannt, aber Arzneipflanzen werden immernoch häufig verwendet anstelle von synthetischen Chemikalien. Ärzte verschreiben heutzutage lieber ausführlich klinisch getestete Präparate. Um die traditionelle chinesische Medizin auf eine solide und akzeptierte Grundlage zu stellen, haben chinesische Wissenschaftler die Bioinformatik bemüht. Alle bekannten Daten über Pflanzen und ihre Inhaltsstoffe wurden in einer Datenbank gesammelt. Das Ergebnis ist die Traditional Chinese Medicine System Pharmacology Database (TCMSP), die öffentlich zugänglich ist (https://tcmsp-e.com/). Die Datenbank ist sowohl chinesisch- als auch englischsprachig.
Es gibt pflanzliche Präparate, die Corona-Infektionen beeinflussen, durch Einwirkung auf das Immunsystem oder direkt auf die Viren. Boozari & Hosseinzadeh beschreiben einige Pflanzen und berichten über gefundene Wirkungsweisen (im Bild ist die Pflanzenauswahl gezeigt: Baikal-Helmkraut, Sonnenhut, Kamille, Schwarzkümmel, Knoblauch, Johanniskraut, Ingwer, Süßholz).
Wang et al veröffentlichten eine Übersicht von 65 Inhaltsstoffen, die in Zellkulturen Coronainfektionen verhindern konnten.
Bioinformatik in der Suche nach Medikamenten
Wenn eine Substanz SARS effektiv heilen soll, müssen ihre Eigenschaften bekannt sein: die Zielstruktur, der Wirkungsmechanismus und eine Methode, sie aus einer Pflanze zu extrahieren und anzureichern. Die TCSMP enthält zur Zeit Daten zu über 12.000 Substanzen, einschließlich ihrer atomaren Strukturen. Welche dieser Substanzen sind es aber Wert, für wissenschftlich-medizinische Experimente ausgewählt zu werden (mit dem Ziel, noch in diesem Leben Resultate zu bekommen)? Wir leben in einer Zeit mit Supercomputern und einer Vielzahl von Programmen zur Simulation von Molekülen und ihren Beziehungen zueinander. Virtuelle Biochemie in silico! Mithilfe von Datenbanken zur Genetik und Eigenschaften von Enzymen können für Substanzen aus der TCSMP mit entsprechenden Simulationsprogrammen Wirkungen vorausberechnet werden. Man braucht dazu kein medizinisches Labor, man muß nur die Rechenzentren bezahlen.
Suche nach aktiven Komponenten in Süßholz
Für jeden der potentiellen 12.000 Wirkstoffe (bei der Suche nach Covid-Wirksamkeit) muß zunächst ein möglicher Wirkort gefunden werden, das vervielfacht die Anzahl der Einzelberechnungen. Für einen Anfang haben Cao et al alle bekannten Wirkstoffe (immer noch 255) aus den Wurzeln von Glycyrrhiza glabra (Süßholz) ausgewählt, für die ein menschlicher Zielort (Eiweißstruktur) bekannt ist. Süßholzextrakt ist die Grundlage für Lakritz.Was machen Coronaviren in unserem Körper? 4.628 Genprodukte sind wie auch immer betroffen. Suche in den Datenbanken GeneOntology (GO) und Kyoto Encyclopedia of Genes and Genomes (KEGG) ergab ein komplexes Netzwerk von Beziehungen zwischen Süßholz, Covid-19 und Mensch. Der Laie muß die Darstellung der Beziehungen nicht verstehen, das Bild ist hier nur gezeigt, um einen Eindruck der Komplexität zu vermitteln. Das Ergebnis engte die Auswahl der möglichen aktiven Substanzen auf 101 ein. Simulationsberechnungen der beteiligten Moleküle und Proteine ergab elf Substanzen, die vielversprechend stark an ihr mit Covid verwandtes Ziel gebunden wurden. Weitere Berechnungen zur Bideenergie und Analyse der atomaren Bindungen ergab die drei besten Kandidaten zur Behandlung von Corona-Erkrankungen. Die Substanzen beeinflussen die Immunantwort und regulieren Zellwachstum.
Wohlgemerkt sind das Voraussagen aufgrund virtueller Biochemie - nun müssen die gefundenen Substanzen in lebenden Systemen im Labor zeigen, ob sie die Versprechungen halten.
Die zusammenfassende Abbildung zeigt die Wirkung auf unsere Körperzellen. Die Effekte betreffen Zellteilung, Entzündungsvorgänge, Zellwachstum und Aktivierung von Immunsignalen.
Links rotieren die Molekülstrukturen der Substanzen (von oben):
Glyasperin F
Glycyrol
Phaseol
Literatur:
M Boozari & H Hosseinzadeh, Natural products for COVID-19 prevention and treatment regarding to previous coronavirus infections and novel studies, Phytotherapy Research 2021;35:864-876
Z Wang et al, Bioactive natural products in COVID-19 therapy, Front. Pharmacol. 2022;13:926507. doi: 10.3389/fphar.2022.926507
JF Cao et al, Exploring the mechanism of action of licorice in the treatment of COVID-19 through bioinformatics analysis and molecular dynamics simulation, Front. Pharmacol. 2022; 13:1003310. doi: 10.3389/fphar.2022.1003310